Nein sagen!
Text von Meredith Haaf
Fotografie von Alex Colley
Leserdauer: 8 Min.
»Sag einfach Nein«, heißt es gern. Als ob das so einfach wäre. Dabei wäre ein »Nein« nicht nur im Privatleben, sondern vor allem im Arbeitsalltag äußerst wichtig. Zum Selbstschutz, aber auch für das Gegenüber. Ein Blick auf das »Nein«.
Kinder stellen Fragen, die einen verwundern. Wie hatte ich mich darauf gefreut, meiner Tochter endlich mein absolutes Lieblingsmärchen, »Aschenputtel«, vorzulesen. Mit dem großen Märchenbuch der Gebrüder Grimm machten die damals Fünfjährige und ich es uns also unter der Decke gemütlich und begannen von dem schönen, früh verwaisten Kind zu lesen. Wie man das so macht, guckte ich meine Tochter während des Lesens immer mal wieder von der Seite an, und was sah ich? Eine Miene, die weniger gefesselt als irgendwie steinern wirkte. Je schwerer das Schicksal des armen Mädchens in ihrem eigenen Haushalt wurde, je mehr Aufgaben Stiefmutter und Stiefschwestern ihr auftrugen, desto strengere Falten schlug ihre kleine Stirn. Als Aschenputtel die Erbsen aus der Asche holen musste, hielt sie es nicht mehr aus: »Aber warum lässt sie sich das gefallen? Warum sagt sie nicht einfach ›Nein?‹«
Die Sache ist ja die: Für eine Fünfjährige, jedenfalls eine, die sicher und geliebt aufwächst, ist es nicht zu verstehen, wie verdammt kompliziert dieses »Nein sagen« im Lauf des Lebens wird, auch ohne grausame Stieffamilie. Wie auch? Ablehnend den Kopf zu schütteln, lernt der Mensch in der Regel bis zum ersten Geburtstag, meist noch bevor er zustimmend nicken kann. Im Alter zwischen zwei und fünf ist ja das Leben der meisten Kinder ein andauerndes Neinerei-Festival: Entweder sie sind selbst damit beschäftigt, es zu sagen, oder sie bekommen es von Eltern, Erzieherinnen oder Geschwistern zu hören.
»Nein sagen« ist also eine soziale Grundlagenfähigkeit, in gewisser Weise die Voraussetzung, um »Ja« sagen zu können. Warum also fällt es so vielen Erwachsenen dann in so vielen Situationen so schwer? Selbst dann, wenn sie – anders als das Mädchen im Märchen – ökonomisch unabhängig und körperlich frei sind?