Sauber bleiben
Fotografie von Laura Schaeffer
Lesedauer: ca. 10 min
Der Mensch ist umzingelt von Schmutz und bedroht von Bakterien. Wir kreischen: SOS! Save Our Sanitation. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie diese Anleitung zur Reinheit in der Nähe eines Waschbeckens. Bitte unterbrechen Sie die Lektüre in regelmäßigen Abständen durch das Waschen der Hände für mindestens zwanzig Sekunden. Das entspricht der Länge der Refrains der ausgewählten Songs. Sauber bleiben!
»Cleanliness is a nice thing!«
Donald Trump
Die Gefahr
Das Leben, so ganz allgemein, ist eine dreckige Angelegenheit. Der Mensch ist ein Schwein. Er besteht aus Blut, Schweiß, Kot und Schleim. Und überall schwebt Staub herum. Hautzellen, Haare, Krümel und Fasern formieren ein Wirrwarr der Widerwärtigkeit. Es gruselt uns vor Flusen, vor Milben, Mäusen, Maden und Mikroben. Zugegeben, der Vergleich mit dem Schwein, der hinkt. Schweine sind redlich reine Tiere. Der Mensch hingegen … Wer nicht im Dreck verwahrlosen will, der wäscht. Reinheit ist das oberste Gebot und saubere Hände sind dessen Basis. Also ab ans Lavoir. Wir waschen die Hände in Seife, dass es nur so schäumt. Mindestens zwanzig Sekunden oder zweimal »Happy Birthday« lang. So lehrte es uns das Corona-Virus, so soll es auch weiterhin sein. Wir stimmen ein:
Happy birthday to you,
Happy birthday to you
Die Waffen
Wir ziehen die Lappen: Kampf den Keimen! Eine angemessene Ausrüstung ist dabei wesentlich. Niemals, nie, das ist wichtig, greifen wir zum Schwamm. Durch seine luftige Struktur bietet er optimale Wohnbedingungen für Bakterien. Die Devise lautet MIKROFASER; in Gelb, in Blau, in Pink, Mikrofasertücher säubern flink. Ihre feine Oberfläche saugt den Schmutz optimal auf. Zur Grundausstattung gehören ferner: Sauger, Besen, Kehrblech, Kehrer. Auf geht’s, ran ans Becken und rein in die Latexhandschuhe! Aber nur mit sauberen Händen. Beyoncé schrieb diese Zeilen sicher ursprünglich als Handwasch-Song.
Ooh, come on, baby
You put my love on top, top, top, top, top
You put my love on top
Ooh, ooh
Die Munition
Wir schnappen unser Kampfgerät, wir laden unsere Antivirenschleudern mit Küchennatron, Seife, Essigessenz, Spülmittel und Soda aus Flaschen. Moment. Den Feudel kurz pausieren, um die Gedanken zu sortieren. Wir? Wer soll das eigentlich sein? Auf die Frage »Wer putzt bei Ihnen zu Hause?« antworten vierundachtzig Prozent der Frauen mit »Ich selbst«, von den Männern sagen das nur knapp über die Hälfte laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Wir krächzen: »Das bisschen Haushalt ist doch kein Problem, sagt mein Mann«und schrubben uns die Hände wund. Putzen reimt sich auf Schluchzen.
Why men great ’til they gotta be great?
Don’t text me, tell it straight to my face
Lizzo, »Truth Hurts«
Die Choreographie
Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur … Stopp. Die hygienisch wichtigsten Räume sind die Küche und das Bad, Grundputz mindestens einmal die Woche. Oberflächen entstauben, Mikroben auslaugen. Wir befolgen die Formel der perfekten Putzperformance: Chemie + Temperatur + Mechanik + Zeit. Die Variablen passen wir dem Schmutzgrad an und zack, der Dreck ist im Sack. Wir polieren hier und desinfizieren dort. Merke: Wer sprüht, muss auch einwirken lassen. Die Wirkzeit variiert von Mittel zu Mittel, doch für alle gilt, sofortiges Wegwischen ist tabu. Und bitte recht freundlich, mit den Worten von Britney Spears:
Oops, I did it again
I played with your heart, got lost in the game
Oh baby, baby
Die Clean-Conclusio
Apropos Britney Spears: »She was so cute and wholesome and nice. I wasn’t afraid of her germs«, verkündet Donald Trump, der bei einem Konzert einen verschwitzten Hut fing, den Britney von der Bühne warf. Trump, der selbsternannte Mysophob, hat krankhafte Angst vor Kontakt mit Schmutz und vor der Ansteckung durch Viren. Vor Britneys Schweiß nicht. Kein Wunder, wenn jetzt wer erbricht. Obacht, Donald: Der Mensch ist nicht allein. Er ist halb Zelle, halb Bakterium. Ein Siebzig-Kilo-Mann etwa beheimatet fast 40 Billionen Bakterien – mehr als er selbst Körperzellen hat. Trump wiegt über hundert Kilogramm. Tja.
Drei reingewaschene Weisheiten zum Schluss: Das Unhygienischste im Haushalt ist der Mensch selbst. Desinfektion desillusioniert. Dreck reinigt den Magen. Denn auch Bakterien tun Gutes, selbst die von Donald. Sie helfen uns, Mahlzeiten zu verdauen und bilden das Fundament unseres Immunsystems. Der Einsatz von zu viel Chemie macht Erreger resistenter. Ist Sauberkeit gar Utopie? Wir scheuern uns die Hände hektisch. Nur Mut zur Asepsis-Skepsis!