The Fast (Fashion) and The Furious
Von Danijela Pilić
Lesedauer: ca. 7 min
»Halte dir die rasende Schnelligkeit der Zeit vor Augen.«
–Lucius Annaeus Seneca, römischer Philosoph (4–65 n. Chr.)
»I see it, I like it, I want it, I got it.«
– Ariana Grande, »7 Rings«
Es ist kein Zufall, dass »Fast Food« und »Fast Fashion« so ähnlich von der Zunge rollen: Schließlich ist ein Glitzermini von Shein für zwei Euro neunundneunzig nicht nur von der Preislage her das textile Äquivalent zu einem Big Mac samt labbriger Gurkenscheibe: macht kurzzeitig happy und auf lange Sicht krank. Mode, vor allem die billige, schnelle Art, kann süchtig machen: Auf das High des Schnäppchens folgt Bauchweh und ein schlechtes Gewissen, denn man weiß, dass es keine billigen Kleidungsstücke gibt, irgendjemand bezahlt dafür, manchmal mit seinem Leben – und dann folgt wieder ein abgelenktes, unüberlegtes In-den-Warenkorb-Schieben, wenn man seinem Dopaminspiegel mal wieder etwas Gutes tun will.
So wie Fast Food besteht auch Fast Fashion aus bedenklichen Inhaltsstoffen, die schlecht für den Planeten – und/oder den Körper – sind und derart abhängig machen, so dass man regelrechten Entzug braucht, um auszusteigen. Denn das Zeug ist überall: Social-Media-Anzeigen und kundengenerierte Inhalte wie »Haul-Videos« stellen sicher,dass Fast-Fashion-Süchtige ihre Droge nie vergessen. Und wie viele Inhalte es sind! Shein, der chinesische Moderiese, der neben Boohoo und Prettylittlething zu den Ultrafast-Fashion-Giganten gehört, hat im vergangenen Jahr geschätzt dreihundertfünfzehntausend Styles zu seiner Website hinzugefügt. Das sind fast zehntausend neue Klamotten pro Tag! Sheins Siegeszug ist übrigens ungeheuer: Im Jahr 2018 hatte die Modemarke einen Jahresumsatz von zwei Milliarden US-Dollar. Drei Jahre später, 2021, betrug der Umsatz schon über fünfzehn Milliarden US-Dollar.
Ausbeute oder Ausbeuterin?
Das Wort »haul« lässt sich mit Beute, Ausbeute oder Fang übersetzen. Unter #haul gab es zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes bei Tiktok acht Komma zwei Millionen Views, auf Instagram waren es drei Millionen Beiträge. Die Videos und Posts sind moderne Formen der Zurschaustellung »erbeuteter« Konsumartikel: Schaut mal, was ich hier rangekarrt habe. In den meisten Fällen sind es junge Frauen, die ihre Einkäufe präsentieren und beschreiben. Ja, Boomer: Das zählt dann schon als Content.
Die meisten der Hauler:innen sind jung, und das steht im krassen Gegensatz zu den nicht verhandelbaren Werten ihrer Generation – Planetrettung, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, sowas, Digga. Einerseits kleben sich junge Menschen auf die Straße und werden scheinbar immer radikaler, was ihre Bemühungen im Bereich des Klimaschutzes angeht, andererseits hat sich seit der Jahrtausendwende die weltweite Textilproduktion verdoppelt. Wurden 2014 noch hundert Milliarden Kleidungsstücke jährlich produziert, sollen es 2030 bereits mehr als doppelt so viel sein. Weniger als ein Prozent aller Kleidungsstücke wird aus recycelten Textilfasern hergestellt. Ja okay, könnte man einwenden – aber hat mein T-Shirt von H&M wirklich was mit dem Klimawandel zu tun? Tja: Ist doch nur ein billiges T-Shirt, meinten mal acht Milliarden Menschen.
Jede:r Bundesbürger:in kauft durchschnittlich jedes Jahr sechzig Kleidungsstücke, davon bleibt jedes fünfte ungetragen im Kleiderschrank. Auf jede:n europäische:n Einwohner:in kommen jährlich elf Kilogramm weggeschmissene Klamotten. Für die Herstellung eines T-Shirts sind rund zweitausendsiebenhundert Liter Wasser nötig, das sind fünfzehn bis achtzehn Badewannen voll. Für ein T-Shirt! Für einen Pullover sind es übrigens schon etwa viertausendvierhundert Liter.
Wir alle sind schuld
Es sind nicht nur die Haul-Opfer, jeder ist schuld. Das Problem daran ist Fast Fashion, denn Mischgewebe kann nicht recycelt werden. Und langsam, sehr langsam sickert die Message auch durch.
Im Jahr 2014 waren die Sängerinnen Rita Ora und Iggy Azalea in einer Londoner Radio-Morningshow zu Gast. Dort verrieten sie, dass sie ihre Unterwäsche nur einmal tragen und danach wegschmeißen. »Wir sehen dieselbe Unterwäsche nicht zweimal«, sagte Rita, und Iggy fügte hinzu: »Bei jeder Show bekomme ich ein neues Paar Unterwäsche. Ich ziehe sie an und werfe sie danach weg, und das ist das Ende.« Neun Jahre später hört sich das schon viel falscher und mehr am Leben vorbei an als damals, und selbst wenn Rita und Iggy das heute noch so handhaben, würde ihnen jeder PR-Manager raten, das für sich zu behalten. Gar nicht deshalb, weil man als Star immer volksnah sein muss, sondern weil sich niemand als Klima-Ignorant:in outen will. Das fällt so in die Kategorie »Schauspieler:innen, die in Privatjets zu Klimakonferenzen fliegen und dort barfuß predigen, dass wir keinen ›Planeten B‹ haben.« Auch die schnappatmigen Schlagzeilen, die bewundern, dass die englische Prinzessin Catherine ein Kleid bereits zum unfassbaren zweiten Mal getragen hat, oder dass Königin Letizia von Spanien in einem Top von Zara (#volksnah) Hände schüttelte, sind zwar schon etwas aus der Zeit gefallen, aber doch noch Klickgaranten. Die Teile sind danach sofort ausverkauft.
Greenwashing: der korrupte Cousin der Nachhaltigkeit
Seit einiger Zeit kommt nachhaltige Mode ins Spiel, und von der gibt es inzwischen immer mehr, auch immer mehr kleidsame und richtig gute – doch Vorsicht: Nur weil nachhaltig draufsteht, ist noch lange nicht nachhaltig drin. Nachhaltig sei das Lieblingsnebelwort der Deutschen, schrieb der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Bericht 2016. Da haben die Marketing-Abteilungen längst aufgehorcht: Bio! Clean! Natürlich! Nachhaltig! Der Begriff der Nachhaltigkeit ist korrumpierbar und schwer zu überprüfen. Das nennt man Greenwashing, sprich: wenn ein Unternehmen mehr Zeit und Geld dafür aufwendet, sich als umweltfreundlich zu vermarkten, als für die Minimierung seiner Umweltauswirkungen. Nur ein Gedanke: Man könnte das Geld ja tatsächlich für nachhaltige Prozesse ausgeben, oder? Na ja. Jedenfalls wurden einer Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2020 zufolge dreiundfünfzig Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU als vage, irreführend oder unfundiert beurteilt. Vierzig Prozent der Aussagen waren einfach nicht belegt. Seit März 2023 – keinen Moment zu früh – pocht die Europäische Kommission darauf, dass man gemeinsame Kriterien gegen irreführende Umweltaussagen einführt. So sollen Verbraucher:innen größere Klarheit und mehr Sicherheit erhalten,dass etwas, das als umweltfreundlich verkauft wird, auch tatsächlich umweltfreundlich ist.
Und Umwelt bedeutet nicht nur Klima, sondern auch Menschenleben. Die Arbeitsbedingungen, unter denen Fast Fashion hergestellt wird, sind katastrophal. Vor zehn Jahren, im April 2013, ereignete sich die größte Katastrophe der Textilindustrie, als beim Einsturz einer Textilfabrik in Rana Plaza in Bangladesch tausendeinhundertfünfunddreißig Menschen starben. Das will man doch nicht unterstützen? Da will man doch nicht mitmachen, oder? Man muss es noch einmal sagen: Wenn ein Kleidungsstück sehr billig ist, zahlt wahrscheinlich die Näherin aus Bangladesch dafür.
Mode ist im Himmel
»Mode ist nicht etwas, das nur in Kleidern existiert. Mode ist im Himmel, auf der Straße, Mode hat mit Ideen zu tun, mit der Art, wie wir leben, mit dem, was gerade passiert«, sagte die Designikone Coco Chanel. Mode hat mit dem zu tun, was gerade passiert, ja – auch mit Waldbränden und sinkenden Booten im Mittelmeer. Denn Mode handelt nicht von Klamotten, sondern vom Leben selbst. Dass wir uns mit unserer Kleidung nicht nur schützen und wärmen und gesellschaftlichen Konventionen folgen wollen, ist einer der schöneren Teil der menschlichen Existenz– wobei man das nicht immer meinen würde, wenn man sich in deutschen Innenstädten so umsieht. Wo sind bitte die sechzig neuen Kleidungsstücke, die jede:r Bundesbürger:in gekauft hat? Es ist ein plumper Einheitsbrei, der auch noch den Planeten kaputt macht. Aber wir wissen ja auch, dass Mode vergeht und Stil unendlich ist, wie es der Modeschöpfer Yves Saint Laurent einmal gesagt hat, und von dem amerikanischen Modedesigner Tom Ford haben wir gehört, dass es eine Art Manieren darstelle, sich gut zu kleiden. Der Wunsch, gut auszusehen, ist nachvollziehbar, die Inspiration, sein Inneres nach Außen zu tragen, kann erquicken – doch das erreichen wir sicher nicht mit Plastikfetzen, die unter miserablen Bedingungen und zwanzig Badewannen voll Wasser hergestellt wurden.