Rache. Das letzte Tabu. 

Text von Lili Ruge
Kunst von Motoko Ishibashi

Lesedauer: ca. 8 Min.

Eine Frau sucht Schutz und wird gnadenlos ausgenutzt: Als ich damals Lars von Triers »Dogville« geguckt habe, in dem die wehrlose Nicole Kidman aka Grace von einer Dorfgemeinschaft ohne Gnade erniedrigt wird, habe ich beim Gucken fast mein Sofakissen zerbissen vor Wut. Die Anwesenheit einer Ausgelieferten holt in dem Film das Schlechteste in den Menschen hervor. Verbündete werden zu Ausbeuterinnen, Familienväter zu Vergewaltigern. Als Grace sich am Schluss brutal gegen ihre Peiniger:innen wendet, habe ich unweigerlich ein Gefühl der Erleichterung und Genugtuung gespürt. Nur, um mich gleich darauf dafür zu schämen. Irgendwie wusste ich nicht, wohin mit den Gefühlen, die der Akt der Rache in mir ausgelöst hat. 

Rache ist Blutwurst sagt der Volksmund und ich habe keine Ahnung, was das heißen soll. Blutwurst. Ist das was Gutes? Die Interpretation dieser Volksweisheit wird durch den Prozess der zunehmenden Vegan-Werdung fleischlicher Produkte in Zukunft wahrscheinlich sogar noch erschwert. Meine These: Vegane Blutwurst wird es genau so wenig geben, wie veganes saures Lüngerl oder veganes Hühnerherzenragout. Diese Gerichte sind einfach zu explizit. Insofern leuchtet der Wurst-Vergleich sogar wieder ein. Wie die Blutwurst ist auch die Rache gesellschaftlich nicht mehr erwünscht. 

Dabei ist Rache vermutlich so alt wie die Menschheitsgeschichte. Zumindest seit es Geschichten über Menschen gibt, gibt es das Motiv der Rache. Ich meine: Man stelle sich mal die Odyssee ganz ohne das Element Rache vor. Die reinste Butterfahrt! 

 

Um sich zum Beispiel an Ex-Partner*innen zu rächen, wird dann mit der Welt geteilt, was ursprünglich nur für genau zwei Menschen bestimmt war: Nacktbilder.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Europa ein absolut durchgenormtes Verfahren fürs gehobene Rächen. Also dafür, wie im Falle des Verlustes der »Mannesehre« die ebensolche wiederherzustellen sei. Das Duell, ein ritualisierter Kampf um die Ehre. So einfach wie archaisch. Ohne die Einwirkung Dritter, Organe der Justiz zum Beispiel (wo kämen wir da auch hin?). Dafür: High Noon. Es gab Tote. Und es gab vor allem: Kein Entrinnen. Verweigerte man im Falle einer Ehrverletzung das Duell, drohte der Verstoß aus der höheren Gesellschaft. Ein echtes Problem. Und ein Dilemma. Sogar Schopenhauer gab zu bedenken: Wenn jemand in seiner Ehre verletzt ist und im Duell zusätzlich eine Niederlage erleidet, ist er nicht nur beleidigt worden, sondern obendrein auch noch tot. Haha. Loser!

Gibt es heute noch ein Regelwerk für gesellschaftlich akzeptable Rache? Schwierig. Man zieht sich gern in den Raum zurück, für den Jurist*innen bis heute auffallend oft die Formulierung: »Grauzone« verwenden: Das Internet. Um sich zum Beispiel an Ex-Partner*innen zu rächen, wird dann mit der Welt geteilt, was ursprünglich nur für genau zwei Menschen bestimmt war: Nacktbilder. Das cute Selfie in den neuen Dessous, die thirsty Videobotschaft aus dem Hotelbett. »Revenge Porn« nennt man das, wobei der Begriff »Porn« natürlich irreführend ist. Das Verbreiten von Nacktbildern gegen den Willen der darauf abgebildeten Person ist vielmehr eine Form der digitalen Gewalt. Die Täter*innen werden nur in den seltensten Fällen ermittelt. Übrigens: Nicht die Existenz dieser intimen Bilder ist das Problem, sondern ihr Missbrauch. 

Es sind meistens Frauen, die mit dieser Form der Rache überzogen werden. Offenbar denkt man bis heute, dass die Ehre einer Frau vernichtet sei, sobald sie sich einem Mann hingibt und es sich erlaubt, Geschlechtsverkehr mit ihm zu haben. Was fällt ihr auch ein, das zu tun, was ungefähr der Grund ist, dass wir alle überhaupt hier sind? Also, noch mal: Sex ist erlaubt, Bilder davon unerlaubt zu teilen nicht. Kein Mensch will, dass entfernte Verwandte, potentielle Arbeitgeber oder Kolleg*innen einen nach einer einfachen Google-Suche beim Sex sehen können. Sorry, aber nicht jeder ist Kim Kardashian und baut auf der Existenz eines »versehentlich« ins Internet geratenen Sextapes eine Weltkarriere auf.  

 

Es sind meistens Frauen, die mit dieser Form der Rache überzogen werden.

Also: Wenn wir uns darauf einigen, dass es nicht cool ist, persönlichen sexy Content unerlaubt zu veröffentlichen – was stellen wir nun an mit unseren verletzten Gefühlen?

Der Pädagoge Jesper Juul schreibt über die, der Rache emotional artverwandten, Aggressionen, sie seien ein »elementarer Lebensaspekt«. Aggressionen zeigten uns unsere persönlichen Grenzen auf. Sie seien aber auch wesentlicher Antrieb von uns Menschen. Wenn wir uns rächen wollen, wollen wir unser, in irgendeiner Form beschädigtes, Selbstbewusstsein wiederherstellen. Wir wollen raus aus der Opferrolle. Und das ist erstmal ok. Der Durst nach Rache, ebenso wie aggressive Gefühle können aber übermächtig werden. Können von uns Besitz ergreifen und uns Dinge tun lassen, die wir uns nie zugetraut hätten. Weil sie so stark sind, können uns Rachegelüste aber auch helfen.

Das Bedürfnis nach Rache kann eine sehr gesunde Form von Wachstum auslösen. Auf Social, wo Rache längst zum Meme geworden ist, kursiert das Zitat »If You don't love me at my worst, then you don’t deserve me at my best.« Der Satz wird dort freimütig (und freilich falsch) Marylin Monroe zugeschrieben. Wer es gesagt hat, ist ja im Grunde auch egal. Es geht dabei nämlich darum, über sich selbst hinauszuwachsen. Während Selbstoptimierungscoaches uns auf Instagram mit dem Versprechen, eine verbesserte Version unserer Selbst werden zu können, toxische Schneeballsysteme verkaufen, bringen uns die good old Rachegefühle wirklich einen Schritt weiter. Wir können sie als emanzipatorische Ansporn begreifen. Mich zum Beispiel hat selten was so gepusht, wie verlassen zu werden. Der Typ, der immer die tollen Sachen gesagt hat, aufregende Kurzurlaube organisiert oder einfach nur zuverlässig das Marmeladenglas geöffnet hat, ist weg? Dann lerne ich halt, diese Dinge selbst zu machen. Rache als Raketenantrieb. Oder: Rache is Selfcare.

Vielleicht brauchen wir einen entspannteren Umgang mit dem Thema Rache. Ich würde dafür plädieren, fürs Erste die Rache mal raus aus der Schmuddelecke zu holen und gründlich auszuleuchten: Was passiert mit uns, wenn wir uns rächen wollen? Und kann uns Rachedurst nicht auch etwas Gutes bringen? Weil eins ist klar: Rache is here to stay.

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